Mein kleines serbisches Tagebuch: Teil 4 – Geschichten vom Montagskind

21. Juni, der längste Tag im Jahr. Hitze und ein leichter Wolkendunst, der keine Abkühlung bringt.

Ich möchte meine Mails checken auf dem Rechner in der Lobby des Hostels, doch das ist ein mühseliges Geschäft. Ich bräuchte einen Moment der Ruhe! Es will nicht sein. Die Gruppe der Jugendlichen vom Wochenende ist abgereist und die nächsten sind schon da, Touristen aus Fernost auf der Durchreise. Ich gebe mir selbst noch Zeit und kehre gegen ein Uhr wieder. Inzwischen ist ein neuer Trubel ausgebrochen und die Chefin des Hostels, eine sehr liebenswerte und immer hilfsbereite Dame, wie ich betonen möchte, hat den Schreibtisch inne, um etwas mit höchster Priorität zu erledigen. Dafür unterhält mich der Typ, der in der Lobby den Aushilfs-Rezeptionisten macht – er ist selbst ein Herbergsgast, jedoch schon seit Monaten im Land, wie er mir gleich erklären wird. Er hat gerade sein Mittagsbier, und wo er sonst immer recht einsilbig und wortkarg ist, sprudelt es auf einmal nur so aus ihm heraus, er redet und redet, während ich darauf warte, dass der Rechner endlich frei wird …

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Ich habe ein Mail an meinen Mann geschrieben, nachdem ich ihn gestern angerufen, aber am Telefon nicht erwischt habe. Ich möchte einfach nur fragen, wie es zuhause so geht. Wie es steht um D., der musste ins Spital und das ist keine Kleinigkeit. Ich möchte mir nicht ständig den Kopf zerbrechen wegen der Dinge, die während meiner Abwesenheit passieren könnten. Das hilft niemand etwas, nicht meinen Lieben daheim und mir auch nicht. In ein paar Tagen geht es ohnehin wieder auf die Heimreise.

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Heute ist ein Montag. Habe mir ein T-Shirt zerrissen – und dabei bin ich eh so knapp mit dem G’wand! Wollte ja sparsam sein beim Packen. An Tagen wie diesen passieren seltsame Dinge am laufenden Band. So am Zigarettenkiosk, wo der Kunde vor mir nicht aufhören will, auf die Verkäuferin einzureden, er erzählt ihr etwas, das anscheinend von ungeheurer Wichtigkeit ist, was immer dies sein mag. Sie möchte mich eigentlich schon längst bedienen und den redseligen Senior diskret verabschieden, also winkt sie mich heran, aber ich komme ja nicht nach vorne, weil der Zugang zum Kiosk eben nur auf eine Person zugeschnitten ist. Aus der Distanz funktioniert es nicht, da ich ja auf Englisch mit ihr sprechen muss, um genauer zu erklären, was ich haben will. Dann ist es endlich soweit, ich stehe vor ihr. Nun hebt ein wahres Kreuzverhör an: die Zigarettenmarke, schön und gut. Nun kurz oder lang? Stark, medium oder light? Blau, dunkelblau, hellblau oder weiß? Normalerweise entgehe ich diesen heimtückischen Fragen, indem ich eine leere oder halbleere Schachtel bei mir trage und der Einfachheit halber dasselbe verlange. Nur habe ich heute darauf vergessen, weil eben Montag ist.

Von solcher Natur sind die Dinge, die zuverlässig am ersten Tag der Woche geschehen, nicht erst seit jetzt, sondern ständig, das war immer schon so.

Später wollte ich ein Foto machen. Es ging um das Motiv in einem Schaukasten, in einer der kleinen Fußgängerpassagen, deren von außen verborgenes, jedoch weitverzweigtes Netz im Herzen der Altstadt einen besonderen Reiz auf mich ausübt. In diesem bezaubernden Labyrinth voller winziger Läden, Galerien und bizarrer Winkel bin ich vor einigen Tagen auf ein Sujet gestoßen, das ich unbedingt festhalten wollte. Da hatte ich jedoch die Kamera nicht dabei. Nun aber finde ich den Durchlass nicht mehr, es ist wie verhext! Alle Passageneingänge habe ich schon probiert, der, den ich suchte, war nicht dabei. Ich werde wohl zufällig darüber stolpern müssen.

Solcherart sind meine Montagsgeschichten. Ich möchte nicht sagen, dass größere Pannen oder Katastrophen mit diesem Tag verquickt wären, es geschieht eben nur eine ganze Menge verdrehtes Zeug. Dies wiederum, so meine feste Überzeugung, liegt daran, dass ich ein Montagskind bin. Das Letztere ist eine Tatsache. Ich bin an einem Montag zur Welt gekommen, genau zweieinhalb Stunden nach Mitternacht. Nur knapp habe ich die Gelegenheit zum Sonntagskind verpasst und das zieht sich nun so durch mein ganzes Leben. Die Montage liegen mir einfach nicht! Obwohl, objektiv betrachtet, haben sich auch durchaus gute Dinge ereignet, eine ganze Menge sogar. Meine Matura bestand ich erfolgreich eines Montags, weitere Prüfungen und Abschlüsse an der Universität folgten, ich habe wichtige Termine anstandslos wahr- und Projekte in Angriff genommen, alles an Montagen. Die echten Herausforderungen, so scheint mir, sind nicht berührt vom obligaten Montagskind-Pech. Die Misere ist von einer anderen Natur, sie lauert in den kleinen Alltagsgeschichten. Dinge, die im Grunde genommen recht einfach wären, gestalten sich plötzlich verflixt und vertrackt. So etwa wie das Buch, das in der Bibliothek schon ausgeliehen war, der Bus, der vor der Nase davonfuhr, der Besuch am Amt, der sich als vergeblich erwies, das Telefonat, das ergebnislos verlief. Das sind die Montagsmalheurs, die mich zuverlässig begleiten. Ich habe indes gelernt, sie mit einer gewissen Gelassenheit zu ertragen, denn dienstags sieht die Welt wieder anders aus!

So ist es auch dieses Mal. Mein Mail ist geschrieben, auf die Antwort warte ich noch. Inzwischen geht alles seinen gemächlichen Gang. Ich werde in den folgenden Tagen den amerikanischen Dauergast im Hostel ein Stück besser kennenlernen und wir werden plaudern, unsere Eindrücke austauschen über die Stadt und ihre Eigentümlichkeiten. Fast eine ganze Woche erwartet mich noch, mit viel Freizeit und nur wenigen Terminen, was sich anfühlt wie Urlaub. Ich werde auf dem Weg zum Markt, in den Tiefen der Passagen, schließlich auf den Schaukasten stoßen, nach dem ich so lange vergeblich Ausschau gehalten habe. Und – ach ja, es war der Dienstag, als meine Hose zerriss! Da befand ich mich gerade im Museum und wanderte durch die glücklicherweise fast menschenleeren Ausstellungssäle. Vor einer historischen Landkarte legte ich in Betrachterpose die Arme auf den Rücken, da bemerkte ich die Katastrophe knapp unter dem Hosenboden … Ratsch, fatsch, ein fetter Riss! Nichts mehr zu machen – und wieder ein Kleidungsstück weniger. So viel zu meiner Montagstheorie.

Ulla Puntschart
https://ulla-puntschart.jimdo.com/

www.verdichtet.at | Kategorie: spazierensehen | Inventarnummer: 21103

 

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