Von Crepes, Apfelstrudel und Vanillekipferln
Weihnachten 1967 verbrachte ich bei meiner Gastfamilie in New York als Au-pair-Mädchen. Im fünften Monat dachte ich, ich bin einigermaßen amerikanisiert, ließ mich auf alles ein und probierte alles aus. Meine Gastfamilie war entzückt von meinem britischen Akzent, den man mir in der Schule beigebracht hatte; aber ich wollte schnell Amerikanerin werden und stieg rasch von biscuits auf cookies um.
Ich war Gesellschafterin bei einer halbblinden Frau, große Schwester einer Siebzehnjährigen und Helferin bei zwei behinderten Kindern. Vera hatte Jugenddiabetes und war mit 40 fast erblindet. Die Mutter meiner Schützlinge, Mrs Wagner, oder Vera, wie ich sie inzwischen anreden durfte, bat mich einmal, „Crepes“ als Vorspeise zuzubereiten. Sie liebte es, mich Vero’ zu nennen, und lachte herzlich über Vera und Vero’. Ich las ihr oft vor, am liebsten waren ihr Baudelaire und Jane Austen.
Der Haushalt hatte zwar ein Hausmädchen aus Norwegen, einen mexikanischen Gärtner, ein Kindermädchen aus Schweden und eine Köchin aus Irland, aber Spezialaufträge gab sie gerne an mich. Als hollandstämmige Einwanderertochter hatte sie eine Schwäche für Austria. Ihre Eltern, das Ehepaar Finkernegel, pflegten Urlaub an Österreichs Seen zu machen.
Vero, you know crepes?
Yes, of course, I do, Vera.
Look, here is the right pan for crepes.
Vera, schon fast erblindet, kramte im closet unter all den Töpfen und Pfannen und ertastete eine Platte mit Elektroanschluss, die sie mir hinstellte. Kurz war ich verwundert, vergaß es aber wieder.
That’s the right thing. We are going to be about ten persons around the table.
Fine. I’ll make it.
Ich erinnere mich genau, wie ich erstarrte, als mein Gehirn Krebs in cancer übersetzte, war doch mein Gastgeber, Prof. DDr. Richard Wagner, Vicepresident of the Medical Society, einer der bedeutendsten Krebschirurgen New Yorks. Oft kam er spät nach Hause und hatte sieben- bis zehnstündige Operationen hinter sich.
Mein Englisch war nicht schlecht nach einem Provinzgymnasium, aber ich hatte keine Ahnung von französischer Küche und verstand „Krebs“. Ich machte mich im örtlichen Supermarkt auf die Suche nach Krebsen.
Weder Scampi noch Shrimps waren bis dahin in meinem Wortschatz aufgetaucht, 1967 aus Wien nach New York verpflanzt. So ist das Hirn, es geht immer von Bekanntem aus.
Natürlich fand ich keine solchen Tiere, wie ich sie aus den Mühlviertler Bächen kannte, die ich mit Brüdern, Cousins und örtlichen Buben entlang der überhängenden Ufer „ausgenommen“ hatte.
Diese grau-grünen Tiere haben wir an Lagerfeuern gebraten, zusammen mit Forellen, wenn wir Glück hatten. Heimlich, weil illegal. Am Dimbach, am liebsten zwischen der Mühle und dem Schmied. Der Giessenbach war zu steil und zu wild. Ich war da gerne dabei, froh, dass mich die Buben mitnahmen, weil geschickt mit den Händen, aber noch zu klein, für solche Raubzüge verantwortlich zu sein.
Ich las aufmerksam den Aufdruck auf der Packung: Boil in salted water an then …
Die Shrimps waren klein und rosig, schrumpelig wie die billige Extrawurst im Mayonnaisesalat, den wir am Weihnachtsabend bei uns zu Hause bekamen. Mit Hörnchen, Gurkerln, gekochten Eiern und Kapern, viel Mayonnaise, einem Spritzer Zitronensaft und obendrauf Schnittlauch.
Wir liebten es, diese Hörnchen zwischen den Lippen und dem Gaumen auszuschlürfen und überboten uns mit unanständigen Geräuschen, die nur zu Weihnachten geduldet wurden. Hörnchen fand ich auch nicht, aber die dicken, kurzen Makkaroni waren einigermaßen Ersatz dafür.
Also stellte ich die große Schüssel auf den Tisch und erwartete Lob. Mir schmeckte es.
Veronica, what is this? Where are the crepes?
It is your Krebs-Salad, as you told me.
But I told you crepes!
But theese are the Krebs!
Aufklärung, viel Gelächter und Makkaroni-Schlürfen. Die Amerikaner sind freundliche und tolerante Menschen, auf jeden Fall in diesem Milieu. Es schmeckte ihnen, allerdings anders als die dünnen, geschmacklosen französischen Palatschinken.
Vera, ihr Mann Richard, die Kinder und alle Gäste waren hochzufrieden mit meiner Vorspeise.
Meine amerikanische Gastfamilie erzählte diese Anekdote noch oft unter viel Lachen bei ihren Dinners weiter. Der „Kreps-Salat“ wurde noch oft von mir verlangt und als Tradition in die Familie aufgenommen. Veras Eltern, die Finkelsteins, gebürtig aus den Niederlanden, erzählten mir später von ihren sprachlichen Irrtümern. An Beispiele kann ich mich leider nicht mehr erinnern.
Ich weiß nicht mehr, für welche Gelegenheit ich Vera versprochen habe, einen typical Viennese Apfelstrudel zu machen.
15.12.21
Veronika Seyr
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