Roman

Die kalte Jahreszeit herrschte nun mit eisernem Griff. Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt ließen Romans Schritte schneller und schneller werden. Es war mittlerweile dunkel geworden in der Mozartstadt und man sah kaum noch Menschen auf den verschneiten Gehsteigen. Endlich, Roman war an der Pforte seines Wohnhauses angekommen. Hastig kramte der Blondschopf in den Taschen seiner dicken Daunenjacke. "Gott sei Dank", kam es dem 23-Jährigen über die Lippen, als er das metallische Scheppern seines Schlüsselbundes vernahm. Roman dachte schon, er hätte seinen Schlüssel bei Julia vergessen. Oben im zweiten Stock seiner geräumigen Wohnung angekommen, hatte der schmächtige junge Mann nur einen Gedanken, "ein warmes Bad". Während das behagliche Plätschern des einlaufenden, warmen Wassers die modernen Räumlichkeiten vom Badezimmer aus beschallte, bereitete sich Roman in der Küche einen köstlichen Waldbeerentee zu. Langsam tauchte der überzeugte Single einen Fuß nach dem anderen in das Badewasser und setzte sich schließlich laut ausatmend in die keramische Schale. Romans Körper schien jetzt Stück für Stück aufzutauen, er lehnte sich entspannt zurück und schloss seine blauen Augen.

Klick. Der Feind war schon sehr nahe und es war nur noch eine Frage von Minuten, bis die Schlacht ihren unausweichlichen Anfang finden würde. Man konnte bereits vereinzeltes Kampfgeschrei aus der Ferne vernehmen. Die Anspannung war den Kriegern in die rauen Gesichter geschrieben, als plötzlich die brüllenden Gegner auf das gut organisierte Bataillon zustürmten. "Angriff", ertönte der Befehl des Kommandeurs und die Soldaten rannten mit gezückten Schwertern einer erbarmungslosen Schar von Eindringlingen entgegen.

Klick. Romans Radiowecker ging pünktlich um sechs Uhr los. Aus den englischsprachigen Nachrichten erfuhr der Zahntechniker von weiteren Korruptionsfällen in der modrigen, heimischen Politik und eine Korrespondentin in Syrien berichtete von Verletzungen der Waffenruhe. Die Wettervorhersage ließ erneut einen kalten Tag erwarten. Roman hätte schon längst aufstehen müssen, doch er fühlte sich träger als sonst, zudem spürte der junge Mann ein Kratzen im Hals. "Oh nein", dachte Roman und tastete mit der flachen Hand an seine Stirn. "Oh nein", der Single fühlte, dass seine Körpertemperatur nicht im normalen Bereich lag. Eine Stunde später hatte der erkältete Salzburger alle wichtigen Telefonate erledigt, also den wenig erfreuten Chef von seinem krankheitsbedingten Fernbleiben informiert und einen Termin beim Hausarzt vereinbart. Bis zum Arzttermin um halb elf blieb Roman noch etwas Zeit, um seinem angeschlagenen Körper nochmals ein Nickerchen zu gönnen.

Klick. Auf dem Schlachtfeld war das Ringen um Leben und Tod in vollem Gange. Der Feind war leider stärker als vom Truppenführer angenommen und so blieb ihm nichts anderes übrig, als das Kommando zum Rückzug zu geben. Es dauerte eine Weile, bis im heillosen Durcheinander des Gemetzels, jeder im Bataillon den Befehl realisiert hatte. Fürs Erste war der Kampf vorbei, doch die Krieger hatten wichtigen Boden aufgeben müssen. Im Lager der Soldaten erlag die Stimmung ebenso der bitteren Niederlage, wie viele Kameraden ihren Verletzungen. Der Kommandeur hatte bereits nach Verstärkung schicken lassen, um das Blatt mit vereinten Kräften zu wenden.

Klick. Romans Arzt diagnostizierte einen grippalen Infekt und empfahl ihm Bettruhe und heißen Tee, um die Krankheit herauszuschwitzen. Dieser Doktor versuchte Erkältungen in erster Linie mit Hausmittel zu therapieren, nur wenn die Beschwerden nicht besser oder gar schlechter wurden, nutzte er die Errungenschaften der Pharmaindustrie zur Heilung. Also tat der Patient wie ihm gesagt wurde und richtete sich am kuscheligen Sofa im Wohnzimmer seine Genesungsstätte ein. Hier hatte Roman nämlich auch die Möglichkeit fernzusehen oder eines der vielen Bücher seiner Bibliothek zu studieren. Am späten Nachmittag wollte Romans beste Freundin Julia, die via SMS von seinem gesundheitlichen Zustand erfahren hatte, nach dem Patienten sehen. Die beiden verband seit Jahren eine innige Freundschaft, aus der jedoch nie das Gefühl der Liebe gewachsen war. "Man kann Amors Pfeil nicht lenken", hatte Roman Julias Mutter einmal als Antwort gegeben, als die ältere Dame sich erkundigte, warum die beiden kein Paar seien. Als es gegen 18 Uhr an der Tür klingelte, wusste der 23-Jährige daher sofort, wer hier um Einlass bat. Julia hatte Topfen zum Auflegen auf den Hals, Orangen und Kiwis für die Vitaminversorgung, und ein Wissenschaftsmagazin im Hochglanzformat mitgebracht. Das 21-Jährige, hübsche Mädchen kümmerte sich etwa eine Stunde einfühlsam um ihren Freund, danach verließ sie mit Genesungswünschen Romans schmuckes Domizil. Bald darauf, nach einer weiteren Tasse heißem Tee, übermannte die Müdigkeit den Erkälteten, und das war auch gut so, denn Schlaf bringt Erholung.

Klick. Der Kommandeur schritt erhobenen Hauptes durch die in Formation aufgestellten Reihen seiner Soldaten. Die Stimmung hatte sich gebessert, nun da die Verstärkung unterstützend zur Seite stand, sann man nach Rache. "Der Tod der Kameraden soll nicht vergebens gewesen sein", ermutigte der Befehlshaber seine Truppen, "Es wird ein langer und erbitterter Kampf, doch am Ende werden wir die Sieger sein, so wahr uns Gott helfe!" Die Strategie des Befehlshabers war es, die Eindringlinge in einen Hinterhalt zu locken, von wo aus man die Feinde einkesseln konnte. Schon nach kurzer Zeit tappten die Kontrahenten in die Falle und ringsum stürmten die Krieger auf die ziemlich verdutzten Feinde ein. Der Überraschungseffekt tat vollends seine Wirkung, die Unholde wurden vernichtend geschlagen. Schließlich zogen die Gewinner erschöpft, aber prächtig gelaunt vom Schlachtfeld. Später wurde noch lange gefeiert, wobei man jedoch auch der tapferen Gefallenen gedachte und die grandiose Strategie des Kommandeurs in höchsten Tönen lobte. "Dieser grausame Feind wird uns keinen Ärger mehr machen, jeder von euch kann stolz auf sich sein. Doch wir können uns leider nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen, schon morgen kann ein neuer Feind vor der Tür stehen. Das ist nun mal unsere Berufung, wir bekämpfen jeden der diesem Territorium Schaden zufügen will", so sprach der erfolgreiche Kommandeur.

Klick. Am nächsten Morgen wachte Roman klatschnass auf. Er fühlte sich zwar noch nicht gesund, doch die unangenehmen Halsschmerzen waren weg und seine Stirn war wieder kühler. Natürlich rann jetzt die Nase, aber mit einem harmlosen Schnupfen konnte sich der junge Mann ein paar Tage arrangieren. Roman schlenderte ins Badezimmer, um den verschwitzten Jogginganzug abzulegen und zu duschen. Danach fühlte er sich fast wie neu geboren. Roman wusste, dass die Talsohle der Krankheit durchschritten war und es von nun an wieder bergauf ging. Am Abend kam erneut Julia zu Besuch und wunderte sich über die schnelle Besserung von Romans Gesundheitszustand. "Mein Immunsystem hat sich heute Nacht wacker geschlagen, im Kampf gegen die Viren", erklärte der Salzburger mit einem Lächeln. "Da kann man nur zum Sieg gratulieren", scherzte Julia und blickte liebevoll in Romans Augen.

Stefan Ebelsberger

www.verdichtet.at | Kategorie: an Tagen wie diesen ... | Inventarnummer: 13004

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