Heldenberg – Reportage aus der (zukünftigen) Vergangenheit

Der freiheitliche Noch-Klubobmann Peter Westenthaler im ORF-ZiB1-Interview vom 9.9.02 nach der Rolle Volksanwalt Ewald Stadlers beim Aufstand der FP-Funktionäre gefragt, meint, dieser hätte Geister gerufen, die er nicht mehr losgeworden sei.

Am Morgen des 8.10., einen heißen Spätsommertag nach den Ereignissen bei dem Knittelfelder FP-Treffen, begibt sich Volksanwalt Ewald Stadler zur niederösterreichischen Gedenkstätte Heldenberg in der Nähe von Kleinwetzdorf, um dort auf einer „Radetzky-Feier mit Feldmesse“ eine Ansprache zu halten. Die Veranstaltung steht unter seinem, Verteidigungsminister Herbert Scheibners und des niederösterreichischen Landeshauptmanns Erwin Pröll Ehrenschutz.

Die Gedenkfeier auf dem mit 280 Metern nicht gerade hohen Heldenberg findet in geschichtsträchtigem Rahmen statt, nämlich auf einer Ruhmesstätte österreichischen Heldentums, die Mitte des 19. Jahrhunderts aus den privaten Mitteln des aus ärmlichen Verhältnissen aufgestiegenen Armeelieferanten Josef Gottfried Pargfrieder errichtetet wurde.

Im spätklassizistischen Stil gehalten, bestücken die Anlage: eine Art Ehrenhalle, ursprünglich zur Unterbringung einer ständigen Militärmannschaft vorgesehen, Siegessäulen, 142 Hohlbüsten österreichischer Armeeführer und Kaiser aus damals modernem  Zinkguss und, der Ehrenhalle gegenüber, ein echtes Mausoleum in Form eines Obelisken.

In diesem liegen zur letzten Ruhe:  Maximilian Freiherr v. Wimpffen und J.J.W. Graf Radetzky, der Bezwinger Napoleons. Die beiden Feldmarschälle schlugen 1848/49 die italienischen und ungarischen Aufstände gegen die Herrschaft der Habsburger nieder. Zu Füßen der Gräber dieser beiden historischen Persönlichkeiten liegt dasjenige des Armeelieferanten Pargfrieder, der es schaffte, die beiden Herren testamentarisch zu verpflichten, sich auf seiner Anlage und zu seiner Seite begraben zu lassen, indem er ihnen im Gegenzug ihre (Spiel-)Schulden beglich.
In der Gruft, dem Eingang gegenüber angebracht, ist der zumindest grammatikalisch bemerkenswerte Spruch zu lesen:„Wehe dem, der unsere Ruhe stört. Wir sind nicht todt, weil wir schweigen.“

Kurz vor neun Uhr morgens nehmen vor dieser Kulisse und unter schmissiger Marschmusikbegleitung  Garden, vor allem aus Jungen-Nachwuchs bestehend, in mit Stolz getragenen historischen Uniformen aus vergangenen Jahrhunderten, nebst hohen Gästen und Vertretern aus Polizei und Bundesheer auf den Stufen der Ehrenhalle Aufstellung. Es wird die „Meldung an den Höchstanwesenden“ erstattet.

2384 Personen seien zur Feier eingetroffen – ob man die Feier beginnen könne? Der so informierte Höchstanwesende erteilt den Befehl: „Feier beginnen“, auf das folgende Kommando „Parade, habt Acht!“  nehmen rund 2000 Angehörige von Kameradschafts-, Traditions- und Soldatenverbänden aus Österreich und Mitteleuropa, unter ihnen auch solche mit Uniformen aus beiden Weltkriegen, stramme Haltung an. Gespräche verstummen. Ein leiser Wind weht durch schwere Fahnen und mächtige Helmbüsche. Der ebenfalls geladenen Bevölkerung wird durch das ungeduldige Handzeichen eines Offiziers bedeutet, sich von ihren zwischen Ehrenhalle und Mausoleum aufgestellten Bierbänken zu erheben. Sie erhebt sich. Dann werden unmittelbar hinter ihr drei markerschütternde Schüsse einer Kanone aus dem Ersten Weltkrieg abgefeuert. Ein nochmaliges Kommando ergeht: „Parade, ruht!“  – Etwas unschlüssig setzen sich die zahlenmäßig unterlegenen Zivilisten. Die Uniformträger bleiben stehen.

In einer halbstündigen Begrüßungsansprache werden honorige Gäste aus Wirtschaft, Kirche, Adel, Exekutive und Politik für ihr Kommen bedankt, befindet der Bürgermeister der Gemeinde Heldenberg, die Radetzky-Feier wäre keine Bühne für Politik, und werden Grußworte aus aller Welt verkündet. Ein kerniger Bayer beginnt die seinen mit den einleitenden Worten, er müsse aufpassen, sonst hätte er hier gleich den Staatsanwalt am Hals, und erntet verständnisvolle Lacher. Er berichtet vom beklagenswerten Zustand der deutschen Bundeswehr unter einer rot-grünen Regierung, um mit der hoffnungsvollen Ankündigung zu schließen, so wie in Österreich, werde auch in Deutschland die Anstrengungen vernünftiger Kräfte wieder für ordentliche Zustände sorgen, und wird mit aufmunterndem Applaus verabschiedet.

Daraufhin besteigt der Volksanwalt Ewald Stadler in seiner Funktion als Festredner die Stufen zum Rednerpult, begrüßt die anwesenden Journalisten, meint aber, sie enttäuschen zu müssen – er gäbe heute keine Feuerrede (Gelächter, Bravorufe). Was der Magister dann folgen lässt, ist auch wirklich bloß eine vergnügliche Freiluftstunde in Geschichte. Er erhebt die Heldenberg-Gedenkstätte zum österreichischen Walhalla, schildert den Werdegang Radetzkys bis zum ruhmreichen Sohn Österreichs, zitiert Grillparzer: „Glück auf, mein Führer, führ den Streich – in deinem Lager ist Österreich!“ (Der Dichter meinte den Feldmarschall), setzt etwas unvermittelt Radetzkys historische Bedeutung mit derjenigen einer von sowjetischen Besatzungsmächten nach Russland verschleppten Niederösterreicherin gleich, stützt diese offensichtlich von ihm erkannte Ähnlichkeit mit einer von ihr entworfenen Schleife für einen Kameradschaftsbund, die eilfertig und zur besseren Sichtbarkeit auf ein Mikrophon gelegt wird,  und kommt so eher zufällig auf die Behandlung der österreichischen Nachkriegszeit  im Kontext objektiver Geschichtsbetrachtung zu sprechen. Hier fragt er sich bestürzt, wo die Feministinnen denn seien, wenn es um das Schicksal zigtausender vergewaltigter Frauen ginge, schlägt vor, sich, statt auf deren und gewisser „Gutmenschen“ verfälschende Sehweise der Vergangenheit, ganz auf Berichte von Zeitzeugen zu verlegen, von denen in der anwesenden Versammlung ja einige, Gott sei Dank, noch am Leben wären, und fordert gewiss in deren Sinne, dass „...freie Meinungsäußerung nicht zum halsbrecherischen Unternehmen wird!“
Schließlich endigt er aber mit der beruhigenden Feststellung: „Diese Radetzky-Feier ist ein lebender Beweis dafür, dass hier die Unabhängigkeit zu Land und in der Luft ...“, wiederholt: „... Zu Land und in der Luft – gewährt ist.“ (Einige überzeugen sich mit Blicken.) Er knüpft daran rasch noch an, dass zur weiteren Verteidigung dieser Unabhängigkeit der Ankauf von Abfangjägern einfach unerlässlich sei, und entfernt sich rasch vom Pult.
(Gedämpftes Klatschen.)

Nach nochmaligem Abfeuern der Kanone beginnt ein Militärkaplan zwischen auf einem Tisch vorbereiteten Kandelabern und Kirchengerät das Kyrieeleison zu murmeln, verlässt das Lateinische, um aus dem Lukas-Evangelium von Jesus bei den Pharisäern zu berichten, die ihn einluden, um ihn zu bespitzeln. Er ermutigt, sich wie der Christus ebenfalls nicht den Mund verbieten zu lassen, auch wenn Zeitgeist und Spitzeltum das opportun erscheinen ließen, spricht mit zunehmender Verve vom im Gange befindlichen Verfall sittlicher Werte, der der Eroberung eines Landes durch fremde Mächte immer vorausginge, und erwähnt als Beispiel für diesen Prozess als pornographisch zu bezeichnende Aufklärungsliteratur an den Schulen, die selbst einen Lenin erröten lassen würde.
Zwar wäre es nicht immer leicht, gegen derartige Umtriebe das Wort zu erheben, und brächte oft Benachteiligung mit sich, aber: „Gott hilft uns, wenn andere ihre Waffen zücken ...“ Nach einer Klage über eine gewisse revolutionäre Schichte, die verdiente Veteranen zu Verbrechern verurteile, mahnt er: „Jenen, die uns beobachten, nicht Anlass zu Ärgernis zu geben, sondern zeigen: Es ist uns ernst damit (...).“Der Rest ist unverständlich.

Unter weiterem Kanonendonner fällt der Feldprediger wieder ins Lateinische.

Ein untersetzter Herr in Anzug breitet sorgfältig ein Taschentuch auf den Kiesboden, nimmt den Hut ab und kniet sich Richtung Mausoleum, um eine Art Stoßgebet zu verrichten.

Im selben Moment bewegt sich auf dieses eine Delegation von der Ehrenhalle zu, schreitet eilig durch die inzwischen zum Teil verlassenen Bierbänke, um im Inneren des Obelisken die Kranzniederlegung zu begehen.

Ein Kind ruft beim Anblick der sich zur abschließenden Parade formierenden Verbände und zweier Reiter in Dragoneruniform begeistert in sein Handy: „Ja! Zinnsoldaten sind hier. Weißt du, wie viele? Es sind Tausende!“

Unweit davon eröffnet ein Veteran einem jungen Fotografen, er, der Veteran, wäre damals bei der SS gewesen, und zwar bei der Totenkopfbrigade, krempelt zum Beweis seinen Ärmel hoch und zeigt seine Tätowierung.

Als die an der Kranzniederlegung Beteiligten im hellen Mittagslicht blinzelnd wieder der Gruft entsteigen, um wieder ihre Plätze auf den Stufen einzunehmen, hat sich ein Großteil der Besucher zur am Eingang der Anlage stattfindenden Weinverkostung begeben.

Ungeachtet des von dort herübertönenden Lärms ziehen, unter der Marschmusik sich abwechselnder Militär- und Bürgerkapellen, die Abteilungen diverser Verbände abschließend an den Stufen der Ehrenhalle vorbei, auf denen nach wie vor die Ehrengäste und Garden ausharren. Unter ihnen auf der untersten Stufe und sozusagen in Reichweite befindet sich Ewald Stadler, der den schwer tragenden Fahnenträgern freundlich zulächelt.

Am Nachmittag desselben Tages verkündet Vizekanzlerin Riess-Passer den Medien, dass sie und weitere freiheitliche Minister von ihrem Regierungsamt zurücktreten. Am nächsten Tag kündigt die schwarz-blaue Regierung Neuwahlen an.

Bernd Remsing
http://fm4.orf.at/stories/1704846/

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