Rückblickend auf die ersten beiden Dekaden meines Erwachsenenlebens stelle ich mit Bitterkeit fest, dass das Liebesglück mich bisher nur tangential gestreift hat. Dies ist mir selbst zuzuschreiben.
Das mag abgeklärt und resignativ klingen – ich bin mit meinen 37 Jahren weder das eine in ausreichendem Maße noch erfreulicherweise das andere. Dennoch bin ich mir meines damaligen schwerwiegenden Fehlers klar bewusst. Noch heute bin ich davon überzeugt, es war eine Begegnung mit der Frau fürs Leben, ein Zusammentreffen mit dem wahren Glück.
Damals war ich ein smarter Student, unterwegs in angesagten Kreisen. Ich war unerfahren und unfreiwillig bereit, en passant den Fehler meines Lebens zu machen. In der dummdreisten Gewissheit, dass diese außergewöhnliche Frau nicht mein Niveau hätte, habe ich ebendieser nicht ausreichend Beachtung geschenkt.
Jetzt schaut sie mich an, aus der Wirtschaftsbeilage der Presse, direkt und aufmerksam, mit ihren hellen Augen. In der Zeitung und der pixeligen Schwarz-Weiß-Darstellung ist ihr intensives Blau nicht ersichtlich, aber auch nicht relevant für die Leserschaft, der geht es mehr um Zahlen. Betriebswirtschaftliche Firmenkennzahlen: Bilanzsumme, Jahresüberschuss, Umsatzrendite, Gewinn, Cash Flow. Wenn sie in den Gesellschaftsgazetten Erwähnung findet, was oft der Fall ist, dann interessieren sich die Leser mehr für die Persönlichkeit hinter dem bekannten Bio-Label. Denn die Frau, die eines der erfolgreichsten österreichischen Startups des letzten Jahrzehnts gegründet hat, ist eine wahrlich auffallende und aparte.
Die Crème-Tiegel dieser Rosie Reiser aus dem oberösterreichischen Mühlviertel stehen auch in unserem Badezimmer. Meine Frau cremt sich abends das Gesicht mit Rosenölcreme ein. Biologisch produzierte Grundstoffe, sorgfältig geerntet, ganz bestimmt recyclebar verpackt, Nachhaltigkeitszertifikat inkludiert. Rosenblättermarmelade oder Rosenessig derselben Marke finden sich in unserer Küche. Und da wären noch die vielen Gewürze und Tees, denen man die Wertschätzung der Produzentin für die Natur und die ökologische Verantwortung für die Region ansieht. Total Quality Management.
Ich studierte damals an der Universität für Bodenkultur in Wien und hatte stets ein kleines Mikrofon parat, das ich hübschen Mädchen unter die Nase hielt, und vorgab, im Auftrag der ÖH eine Umfrage zu machen. Das nahm mir die Hemmschwelle, Frauen anzusprechen. Meist folgte eine kleine Befragung in der Cafeteria oder auf einer Parkbank. Manchmal mehr.
So hatte ich auch Rosie Reiser kennengelernt. Sie war mir zuerst gar nicht aufgefallen und eine andere, die ich ansprach, war zu sehr in Eile. Da kam sie als Nächste daher und hatte diesen aufgeweckten Blick, den sie auch nicht verschämt senkte, als sie mein Mikrofon als solches erkannte. Sie war auf den ersten Blick nicht mein Typ, aber ich konnte irgendwie nicht anders, ging auf sie zu und fragte sie nach ihrer Work-Life-Balance.
„Ja, gut, wenn es dich interessiert, was ich denke, dann frag doch!“, meinte sie unbekümmert und lebhaft.
Mein Blick lag gebannt auf ihrem Gesicht, das mit Sommersprossen übersät war. Sie war nicht geschminkt, unauffällig mit Jeans und T-Shirt bekleidet. Das ziegelrote lange Haar hatte sie mehr schlecht als recht locker auf ihrem Kopf aufgetürmt.
Schon der Anfang des Gesprächs war desaströs: Sie stellte sich mit einem freundlichen „Ich bin Rosie“ vor. Und mir fiel nichts Besseres ein als den urbanen Wiener Schnösel zu geben und überheblich zu artikulieren: „Und ich nenne dich Rosa.“ Sie verwehrte sich sogleich recht unmissverständlich dagegen.
Sie war – wie soll ich sagen – urwüchsig, sowohl in ihrem Aussehen als auch Auftreten. Ich stellte sie mir an meiner Seite und in Gegenwart meiner Freunde in unserem hippen Club vor, im stylishen Abend-Outfit und mit einem Drink in der Hand, und musste schmunzeln. ‚Die könnte mehr aus sich machen‘, war tatsächlich einer meiner respektlosen Gedanken, während ich ihr in der Cafeteria zuhörte. Dabei war sie hinreißend, wie sie angeregt erzählte, was sie für ihre Zukunft plante.
Meine Vorgangsweise war investigativ: „Wie viel Deiner in wachem Zustand verbrachten Zeit in Prozenten entfällt auf Studium, wie viel auf Familie, Freunde, Partner und Hobbies?“
So erfuhr ich viel Wissenswertes meist sehr rasch und in Rosies Fall darüber hinaus von ihrer Begeisterung für Heckenrosen.
„Sie werden nicht kultiviert und wachsen einfach wild. Es gibt sogar Sorten in hellem Orangerot, so wie es meine Haare sind. Und die ganzen Kräuter und Pflanzen, die auch naturbelassen wuchern – das sind Schätze!“
Sie hatte ihre Haarspange gelöst. Das wallende Ziegelrot auf ihrem Kopf war demnach ein Heckenrosenrot und stand ihr ganz wunderbar zu Gesicht. Letzteres gab sich bedeckt und war nicht leicht zu erforschen, die Sommersprossen forderten mich geradezu heraus.
„Rosenöl wird in der Parfüm- und Kosmetikindustrie verwendet. Es erhöht die Elastizität der Haut. Rosenblüten können als Tee zubereitet werden. Auch die Früchte der Rosen, die Hagebutten, finden in der Küche Verwendung. In der Heilkunde dient Rosenöl zur Krampflösung, es hebt die Stimmung, belebt und hilft bei Kopfschmerzen.“
Sie berührte mich kurz am Unterarm, um die Tragweite ihrer nächsten Aussage zu verstärken, und fügte ernst und nachdrücklich hinzu: „Und wenn Babys viel weinen und unruhig sind, dann helfen Massagen mit stark verdünntem Rosenöl.“
Als ob das für einen 22-jährigen Studenten von irgendeinem Belang gewesen wäre! Dennoch fand ich meine Gesprächspartnerin in besonderer Weise anziehend.
Doch mein Fokus lag damals auf den richtig coolen, modisch gekleideten Studentinnen in High-Heels und nicht auf sommersprossigen Biotanten. Nur so kann ich mir erklären, dass ich rasch das Interesse an ihr verlor, als eine Kommilitonin an einem Nebentisch direkt in meinem Blickfeld Platz nahm und mich mit ihrem aufreizenden Lächeln (oder war es das Dekolleté?) ablenkte.
So geschah es, dass diese Rosie sich furchtbar über meine dumme Unaufmerksamkeit ärgerte. Sie nahm das Objekt meiner Ablenkung kurz ins Visier, hörte auf zu sprechen und legte energisch ein paar Münzen auf den Tisch. Sie erhob sich entschlossen und klang sehr aufgebracht: „Schade, du hast echt den falschen Job. Das war vertane Zeit.“
Ehe ich noch etwas entgegnen konnte, war dieses unverfälschte Landmädel mit ihrer heckenrosenroten Mähne wütend auf und davon geeilt.
Meinen Kaffee trank ich damals ungerührt am Nebentisch weiter.
Aber unbewusst fand ich Rosie wohl damals schon bezaubernd, ich sah mich am Campus permanent nach ihr um. Einmal traf ich sie danach in der Bibliothek (nicht ganz zufällig im Bereich Wildpflanzen) wieder und ließ mich an einem Tisch in ihrer Nähe nieder. Als sie mich bemerkte, fühlte sie sich gestört und entfernte sich mit grimmigem Blick und entrüstet.
Rosie und ihre Sommersprossen ließen mich nicht los. Immer war ich seither auf der Suche nach ihnen.
Später hielt ich Ausschau nach einer Partnerin mit ähnlich unverfälschtem Temperament, erdverbundenem Verhalten oder was ich dafür hielt. Das brachte allerdings nichts als Verdruss und sogar eine Scheidung. Immer wenn ich damals an Rosie Reiser dachte, kam ich mir in einem unsäglichen Ausmaß emotional unzulänglich vor. Ich habe deshalb danach nie wieder einen Versuch der Kontaktaufnahme unternommen, obwohl es Gelegenheiten gegeben hätte. Und noch heute tut mir das leid.
Michaela Swoboda
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