(inspired by One Direction’s Song)
Lustlos stocherte ich in meinem Abendessen herum. Heute war einer jener Tage, an denen ich kaum Appetit hatte. Meine Gemütslage schlug mir wieder einmal auf den Magen. Ich seufzte und trank einen Schluck Wasser. Währenddessen blickte ich auf mein Gegenüber.
Sein Appetit war vollkommen in Ordnung. Abwesend nahm er einen Bissen nach dem anderen, während er in einer Zeitschrift las. Er schien mit sich und der Welt zufrieden zu sein. Das konnte ich von mir selbst nicht behaupten.
Ich saß mit ihm an einem Tisch. Lebte mit ihm in einer gemeinsamen Wohnung. Und doch war ich allein. Es war, als ob ein Gebirge mittleren Ausmaßes auf meiner Brust läge. Ich beobachtete ihn weiter. „Wie war dein Tag?“, versuchte ich, eine Konversation zu beginnen.
Er zuckte kurz mit den Schultern. „So wie immer“, war seine lapidare Antwort. Toll. Genervt schmiss ich das Besteck auf meinen Teller. Das Geräusch war so laut, dass er überrascht aufblickte. „Alles OK?“, fragte er. Doch mir schien, dass es eher nur eine Floskel als echtes Interesse an meinem Befinden war.
Das ging schon länger so. Ich weiß nicht mehr, wann es angefangen hatte. Wir waren schon so lange zusammen, hatten über die all die Jahre unsere kleinen Rituale gehabt. Einen Kuss morgens, wenn wir aus dem Haus gingen. Einen Kuss abends, wenn wir wieder heimkamen. Einen Gute-Nacht-Kuss vor dem Einschlafen.
Ich konnte mich gar nicht mehr erinnern, wann ich den letzten Kuss von ihm bekommen hatte. Das machte mich traurig. Aber es machte mich auch wütend. Wütend auf ihn. Wütend auf mich. Warum hatten wir damit aufgehört? Wer hatte damit aufgehört? Wer war schuld?
„Natürlich. So wie immer“, äffte ich seine vorhergehende Antwort nach. Dann stand ich auf und brachte meinen Teller zurück in die Küche. Eine kleine Kartoffel schaffte es in meinen Mund, den Rest des Essens schmiss ich in den Mülleimer.
Ich lehnte mich gegen die Spüle und sah hinüber ins Esszimmer. Er saß ruhig auf der Bank und schluckte den letzten Bissen hinunter. Er schien vertieft einen Artikel zu lesen. Wie vermutet. Nur eine Floskel, kein echtes Interesse. Sonst hätte er weiter nachgehakt. So wie früher.
So nah, wie wir uns waren, als wir noch unsere kleinen Rituale hatten – so weit entfernt schienen wir momentan nebeneinander zu leben. Nebeneinander, nicht miteinander.
Natürlich liebte ich ihn. Ich empfand etwas, das ich in meiner Definition als Liebe verstand. Nicht so wie ich meine Eltern, meine Geschwister, Freunde oder ein Haustier liebte. Sondern so, wie man einen Partner liebt. Einen Partner, mit dem man den Rest seines Lebens verbringen möchte.
In Augenblicken wie diesen stellte ich aber dieses Gefühl in Frage. War es wirklich Liebe? Oder war es Gewohnheit? War es eine Tatsache, dass Liebe irgendwann zur Gewohnheit wurde? War das die Art Beziehung, die ich für den Rest meines Lebens führen wollte? Wieder zog sich mein Herz zusammen. Nein, wollte ich nicht.
Da war er plötzlich: ein Gedanke, ein kleiner Funke. Mir stiegen Tränen in die Augen. So weit war ich gekommen. Ich dachte daran, die Beziehung zu beenden. Und im selben Augenblick wollte ich sie retten.
Es gab diese beiden Optionen. Hier zu bleiben und daran zu arbeiten – wenn auch er es wollte. Oder dieses Kapitel meines Lebens zu beenden und zu gehen. Ich räusperte mich und blinzelte die Tränen aus meinen Augen, als ich merkte, dass er aufgestanden war und in die Küche kam.
„Gut war’s, wie immer“, sagte er freundlich und stellte sein Geschirr in die Spüle. Im Vorbeigehen strich er mir kurz über die Schulter und ging dann weiter ins Wohnzimmer. Ich starrte auf seinen Teller. Wieder so eine Szene. Es gab Zeiten, da hätte er sofort gemerkt, wenn es mir nicht gut ging. Hätte mich in den Arm genommen und mit mir gekuschelt. Vorbei.
In meinem Inneren kämpften Wut, Ärger und Verletztheit gegeneinander an. Und doch versuchte ich, weiterhin klar zu denken. Ich musste ihn darauf ansprechen. So lange ich mit meinen Dämonen im Geiste kämpfte, hatte er keine Möglichkeit, sich zu verteidigen bzw. seine Sicht der Dinge zu erklären.
Ich ging langsam Richtung Wohnzimmer. Die Tür war angelehnt, und durch das Milchglas konnte ich den Fernseher flimmern sehen. Vermutlich saß er mit dem Laptop auf der Couch und surfte im Internet, während im Fernsehen eine der üblichen Serien lief.
Drei. Zwei. Eins. Ich öffnete die Tür und – 100 Punkte. Es war alles so vorhersehbar. Jeden Tag. Ich setzte mich neben ihn auf die Couch und sah auf den Laptop. Irgendein Online-Shopping-Portal für technisches Equipment. Das war sein Faible. Stundenlang konnte er sich mit der Suche nach dem günstigsten Angebot beschäftigen. Und alles rund um ihn vergessen. Auch mich.
Mein Blick wanderte vom Laptop zu seinem Gesicht. Wenn er konzentriert war, biss er sich immer auf die Unterlippe. Ich musste kurz lächeln. Diese Eigenheit hatte ich immer liebenswert gefunden. Auch heute noch. Vorsichtig stupste ich ihn mit einem Zeigefinger an seiner Schulter an.
„Können wir reden?“, fragte ich leise. Etwas widerwillig drehte er seinen Kopf in meine Richtung und sah mich an. „Hmm“, murmelte er – wie mir schien – leicht genervt. Tief einatmen. Nichts falsch interpretieren. Das könnte auch nach hinten losgehen.
„Ich bin nicht… Ich will nicht…“, fing ich an, wusste aber nicht weiter. Alle möglichen Gedanken flogen durch meinen Kopf. So viel, was ich sagen wollte – oder aber auch besser für mich behalten sollte. Ich wusste nicht, wo ich die Grenze ziehen sollte.
Irritiert zog er die Augenbrauen zusammen. „Was bist oder willst du nicht?“, fragte er nach. Offensichtlich hatte ich sein Interesse an diesem Gespräch geweckt. Immerhin. Ich räusperte mich und fuhr mir nervös durch die Haare. „Bist du glücklich?“, fragte ich geradeheraus und sah ihm in die Augen.
„Klar“, entgegnete er. Kurz und einfach formuliert. Wahrlich eine rhetorische Meisterleistung. Und so tiefgründig. Ich spürte, wie die Wut in mir die Oberhand gewann. „Schön. Es macht dich also glücklich, jeden Tag etwas zu essen auf dem Tisch stehen zu haben wenn du heimkommst. Es dir auf der Couch mit dem Laptop bequem zu machen. Kurz nach elf Uhr todmüde ins Bett zu fallen, auch am Wochenende. Das sind ja echt hochtrabende Ansprüche, die du hast. Und so abwechslungsreich!“ Meine Antwort triefte nur so vor Sarkasmus.
Ergeben klappte er den Laptop zu und stellte ihn auf den Couchtisch. „Heute sind wir ja wieder mal sehr gut gelaunt…“, murmelte er, bevor er sich leicht zu mir drehte und mich ansah. „Fein! Es fällt dir auf! Das freut mich aber! Ich dachte schon, du registrierst mich gar nicht mehr!“, rief ich. Ich war aufgewühlt. Merkte, wie mir das Blut in den Kopf schoss und mein Gesicht erhitzte.
„Was soll das? Natürlich registriere ich dich!“, sagte er beleidigt. „Dann rede mit mir! Erzähl mir, wie dein Tag war! Was du erlebt hast! Was in deinem Leben vorgeht!“ Ich sprang auf und ging im Wohnzimmer hin und her. Wie ein Tiger, der nervös in seinem Gehege umherstreift. Immer wieder blickte ich ihn aus den Augenwinkeln an. Und merkte, dass er leicht den Kopf schüttelte. Er verstand mich nicht.
Ich blieb stehen und atmete durch. „Ich erzähle dir jetzt, wie es mir geht, in Ordnung? Falls es dich interessiert…“, sagte ich wieder etwas ruhiger. Er sah mich an, seinen Blick konnte ich nicht deuten. „Nur zu“, antwortete er und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück.
Unterbewusst registrierte ich diese abwehrende Körpersprache. Meine Reaktion darauf war ein emotionaler Ausbruch. „ICH bin nicht glücklich! ICH will so nicht weitermachen! ICH will, dass sich etwas ändert!“ Meine Stimme brach ab. Ich zitterte.
Er sah mich aufmerksam an. Blieb ganz ruhig. „Du willst so nicht weitermachen…“, wiederholte er eine meiner Aussagen. Sie dürfte ihn wachgerüttelt haben. Ich stellte mich vor ihn hin, mittlerweile liefen Tränen über mein Gesicht. „ICH… vermisse dich!“, schluchzte ich und fing an zu weinen.
Sanft zog er mich zu sich auf die Couch und nahm mich in den Arm. So wie früher. Ich krallte mich mit meiner ganzen Kraft an ihm fest und verbarg mein Gesicht in seiner Brust.
Plötzlich war sie wieder da. Diese Nähe, die ich so sehr vermisst hatte. Den Kontakt, die Wärme, die Streicheleinheiten. Er küsste meine Stirn und hielt mich weiter fest. Langsam beruhigte ich mich wieder und lockerte meine Umarmung.
Als er das merkte, löste er sich vorsichtig und nahm mein Gesicht in beide Hände. „Was kann ich tun?“, fragte er leise und sah mich an. „Mich beachten. Mich nicht als selbstverständlich ansehen. Mich in dein Leben einbeziehen. So wie früher“, flüsterte ich.
Er nickte leicht. Irgendetwas in seinem Blick irritierte mich. „Und was kannst du tun?“, fragte er weiter. Mein Atem setzte kurz aus. Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet. War ich etwa schuld? Hatte ich es so weit kommen lassen?
Ich setzte mich aufrecht hin und wich leicht zurück. Er ließ seine Hände sinken und sah mich erwartungsvoll an. „Wenn es so ist, wie es jetzt ist, und es dir nicht gefällt, bin ich nicht allein dafür verantwortlich“, erklärte er mit ruhiger Stimme. „Ich komme offensichtlich nur besser damit zurecht, weil ich diese Art von Ansprüchen nicht habe. Nicht so wie du“, sprach er weiter. Nach wie vor fixierte er mich mit seinem Blick.
Seine Aussagen machten mir Angst. „Würdest du den Rest deines Lebens so weiterleben wollen?“, fragte ich ungläubig. Er zuckte mit den Schultern. „Für mich ist es gut so, wie es ist. Ich liebe dich, und ich denke, dass weißt du auch. Aber soll ich dir nach zehn Jahren immer noch Blumen bringen und mit dir ausgehen? Ich finde, aus dem Alter und dieser Art von Beziehung sind wir draußen.“ Seine Stimme klang liebevoll, aber seine Worte waren kalt.
Er würde so weitermachen. Jeden Tag, einfach so weitermachen. Ihm gefiel es, er war zufrieden. Ich kannte mich nicht mehr aus. „Warum fragst du mich dann, was ich tun kann? Hätte ich überhaupt eine Möglichkeit, irgendetwas zu beeinflussen? Wenn für dich sowieso alles passt, so wie es ist?“ Seine Erklärungen waren für mich widersprüchlich.
Jetzt war er es, der aufstand und durch den Raum wanderte. Er blieb vor dem Bücherregal stehen und las die Buchrücken, die auf seiner Augenhöhe standen. Ich sah ihm nach und wartete auf eine Antwort. Eine Reaktion. Irgendetwas. Eine kleine Ewigkeit saß ich auf der Couch, während er in Ruhe die Büchertitel zu lesen schien.
„Du kannst gerne etwas tun. Etwas anders tun. Dich verändern. Ich habe mich für dich entschieden, egal, wie du dich veränderst. Wenn du dich veränderst. Dasselbe wünsche ich mir von dir. Ganz einfach“, erklärte er. Ohne mich dabei anzusehen.
Ganz einfach. So einfach war das aber nicht. Ich lehnte mich zurück und starrte an die Zimmerdecke. Natürlich akzeptierte ich ihn so, wie er war. Ich wollte ihn nicht verändern. Oder etwa doch? War es so egoistisch, mehr Beachtung in der Beziehung zu verlangen? Was sollte ich jetzt mit seiner Aussage anfangen? Ich bemerkte, dass er sich wieder zu mir drehte. „Ich geh schlafen. Gute Nacht. Hab dich lieb“, beendete er unser Gespräch und verließ das Zimmer.
Perplex blieb ich zurück. Ich konnte mich verändern, und er würde mich weiter lieben. Aber er würde sich nicht verändern, und das musste ich akzeptieren. Er kam mir nicht entgegen. War nicht der Meinung, dass er einen kleinen Kompromiss eingehen könnte. Was hatte ich davon, mit einem Menschen zusammenzuleben, der mich liebte – aber mit dem ich nicht glücklich war?
Wieder poppte ein Gedanke auf: Du liebst ihn auch. Aber plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, ob es wirklich noch Liebe war. Von draußen hörte ich Geplätscher aus dem Badezimmer und seine Schritte, als er ins Schlafzimmer ging. Er machte so weiter wie immer. Weil es für ihn so in Ordnung war, wie es jetzt war.
Stumm flossen wieder Tränen über mein Gesicht, und ich schloss die Augen. Mein Herz war noch schwerer geworden an diesem Abend. So hatte ich mir den Verlauf des Gesprächs wirklich nicht vorgestellt. Ich presste die Lippen zusammen und versuchte krampfhaft, nicht laut aufzuschluchzen. Das sollte er nicht hören.
Ich wartete ein paar Minuten und ging dann leise ins Badezimmer, um meinen Pyjama anzuziehen und die Zähne zu putzen. Als ich fertig war und ins Schlafzimmer ging, um mich auf meine Seite des Bettes zu legen, traf mich die Ernüchterung wie ein Schlag auf den Kopf. ICH wollte so nicht weitermachen.
Er lag mit dem Rücken zu mir gedreht, und schlief. Er schlief tief und fest. Wie an jedem anderen Tag. Als ob auch die Unterhaltung von vorhin nur ein weiterer Smalltalk von vielen gewesen war. Aufmerksam lauschte ich seinen gleichmäßigen Atemzügen.
Für einen Augenblick beneidete ich ihn. Dafür, dass es für ihn so einfach war. Dafür, dass es nicht an ihm nagte. Dafür, dass es ihm nicht den Schlaf raubte. Aber ich wollte diesen einfachen Weg nicht gehen. Auch wenn es hieß, eine schwere Entscheidung zu treffen. Wobei… Vielleicht hatte ich die Entscheidung schon längst getroffen. Das heutige Gespräch hatte es möglicherweise nur offensichtlich gemacht.
Da lag ich nun, Seite an Seite mit einem Mann, mit dem ich die letzten zehn Jahre meines Lebens verbracht hatte. Der mir oft so nah gewesen war wie kein anderer Mensch in meinem Leben. So nah, dass es weh getan hatte, wenn er nicht da war.
Jetzt tat es auch weh. Doch jetzt war der Grund der, dass wir uns im selben Raum befanden und ich trotzdem das Gefühl hatte, dass er nicht da war. Diese Tatsache schmerzte. Sie schmerzte unendlich. Die Erkenntnis, dass diese Beziehung vielleicht keine Zukunft mehr hatte, zerriss mir das Herz. Aber ich wollte es noch einmal versuchen. Das war ich uns beiden schuldig.
Petra Hechenberger
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