Ich bin Schriftsteller, nicht Künstler, denn ich erachte die Schriftstellerei nicht als Kunst, vielmehr stehe ich auf dem Standpunkt, dass sie eine Notwendigkeit für den schreibenden Menschen darstellt, beispielsweise um seinen Standort kundzutun, um mitzuteilen, wo er innerlich zu verorten ist, oder um sich, wie man sagt, Dinge von der Seele zu schreiben.
Ich bin allerdings kein geborener Schriftsteller, denn lange Jahre war ich Künstler, und zwar ein großer Maler und Objektkünstler. Ich hatte jedoch keinen Erfolg mit meiner Kunst, habe bloß ein einziges Kunstwerk an den Mann bringen können, oder vielmehr an die Frau, denn meine Mutter war so freundlich, mir dieses für eine wahre Unsumme abzukaufen. Sie sagte damals zu mir: “Michael! Dein Kunstwerk ist höchst grässlich, dennoch kaufe ich es dir für fünfzehn Millionen Euro ab, denn in den vergangenen leidvollen Jahren musste ich erkennen, dass du wohl nur im Bereich der Literatur tätig sein kannst. Ich zahle so viel Geld, damit du nicht darauf angewiesen bist, eine Arbeit anzunehmen, wie als normal zu bezeichnende Menschen sie verrichten. Ich möchte es nämlich nicht erleben, dich im Gefängnis besuchen zu müssen.”
Es ist nicht so, dass ich eine künstlerische Ausbildung genossen hätte. Nachdem ich maturiert hatte, bewarb ich mich an zwei Kunstuniversitäten in Wien. Ich verzichtete darauf, eine Mappe mit Werken von mir einzureichen, vielmehr beschrieb ich detailliert, welche Kunstwerke ich zu erschaffen gedachte. Nun, ich wurde abgelehnt.
Der Rektor der einen Universität sprach sogar in der palastartigen Behausung meiner Familie vor, um meiner Mutter zu sagen: “Frau Timoschek, Ihr Sohn ist verrückt! Bitte sperren Sie ihn in Ihrem Park ein und lassen Sie ihn um Himmels willen nicht entkommen!” Meine Mutter antwortete: “Glauben Sie mir, das weiß ich. Ich habe bereits versucht, ihn einzusperren, doch jedes Mal hat er es fertiggebracht, die Mauer zu überwinden.” Kopfschüttelnd verließ der Rektor den Wohnsaal meiner Familie und murmelte dabei: “So was! Dieser Timoschek ist völlig übergeschnappt!” Ich war entmutigt, doch hoffte ich zu diesem Zeitpunkt noch auf eine positive Antwort der zweiten Universität.
Nun, ich wurde eingeladen, persönlich dort vorzusprechen. In freudiger Erwartung betrat ich den großen Hörsaal, in welchem sich sämtliche Professoren und Assistenten versammelt hatten. Der Vizerektor kam auf mich zu, nahm mich an der Hand und führte mich in die Mitte des Saales. Dann rief er: “Werte Kolleginnen, werte Kollegen, dieser Mensch hier ist Michael Timoschek!” Aller Augen waren auf mich gerichtet. Ein paar Professoren brachen in schallendes Gelächter aus, doch die meisten musterten mich auf die selbe Art und Weise, wie sie vermutlich eine moderne Skulptur betrachteten, jedoch wagte niemand, mich anzusprechen. Bis auf den Vizerektor. Bevor er mir für alle Zeit verbot, auch nur einen Fuß auf das Gelände der Universität zu setzen, überreichte er mir ein Blatt Papier, auf welchem eine Adresse vermerkt war. Tief getroffen ob der eben erfahrenen Ablehnung, fuhr ich sogleich zu dieser Adresse, die sich als Anschrift der örtlichen Irrenanstalt entpuppte. Ich fuhr wieder nach Hause.
Ich war sehr verletzt, dennoch verlor ich nicht den Mut. Ich beschloss, meine große Künstlerkarriere als Autodidakt anzugehen. Für mein erstes Kunstwerk besorgte ich mir vier Fische. Einen Karpfen, einen Wels, eine Forelle und einen Hecht. Diese Fische ordnete ich so an, dass die Forelle in die Schwanzflosse des Hechts biss und gleichzeitig vom Wels gebissen wurde, in dessen Schwanzflosse der alles verschlingende Karpfen biss. In den Behälter, es handelte sich um ein außer Dienst gestelltes Aquarium, in dem mein Werk stand, goss ich Formaldehyd. Ich gab dem Objekt den Namen ‘Die Unersättlichkeit des Karpfens’. Stolz auf mein Kunstwerk, lief ich sogleich zu meinen Eltern und führte sie in den Teil ihrer geräumigen Garage, in dem ich es erschaffen hatte. Ich zog das Tuch vom Aquarium und erwartete die Reaktion meiner Eltern. Mein Vater stand vor meinem Kunstwerk und schwieg. Er betrachtete es mit großen Augen, er nahm seine Brille ab und putzte deren Gläser, dann blickte er wieder auf meine Kunst. Er wandte sich um, sah mir in die Augen und fragte: “Was ist das, Michael?” Bevor ich antworten konnte, begann er zu brüllen: “Was zur Hölle ist das? Ich hatte es ja schon immer vermutet, aber das ist der Beweis!” Dann lief er aus der Garage. Ich war verstört, also fragte ich meine Mutter: “Meint Vater den Beweis, dass ich ein großer Künstler bin?” Meine Mutter sah erst auf mein Werk, dann in meine Augen und schlug die Hände über ihrem Kopf zusammen. “Nein, Michael. Vater meint damit, dass du verrückt bist. Und, ehrlich gesagt, bist du wirklich übergeschnappt. Weißt du, Michael, wenn du wenigstens auf das Formaldehyd verzichtet hättest, dann könnte ich die Fische kochen. Aber so …” Dann verließ auch sie die Garage.
Ich war, das spreche ich offen aus, entmutigt. Es ging mir wirklich schlecht. So schlecht, dass am Tag darauf meine, wie ich sie nenne, ‘Schwarze Periode’ begann. Ich kaufte dreißig Leinwände und bemalte sie mit schwarzer Farbe. Ich hängte die Bilder dieser Serie in mein Schlafzimmer, doch bereits nach drei Tagen waren sie mir nicht mehr dunkel genug, also nahm ich sie ab und übte mich in der hohen Kunst der Übermalung, indem ich sie mit schwarzer Farbe übermalte. Danach waren sie perfekt. Meine Eltern meinten, sie würden mein fürwahr großes Genie aus den Bildern dieser Serie hell herausleuchten sehen, was mich sehr freute. Mein Vater bat mich, ihm diese Bilder als Leihgabe zu überlassen, was ich natürlich gerne machte. Ich denke, sie befinden sich immer noch im hinteren Bereich des großen Kellers meiner Eltern, gegen Staub geschützt von einem ausrangierten Tischtennistisch.
Meine Großmutter, die damals noch lebte, wollte mein, wie sie es nannte, Abbildungsgeschick testen und bat mich, sie möglichst lebensecht zu porträtieren. Da ich zu dieser Zeit ein großer Künstler war, lehnte ich es selbstverständlich ab, sie auf gewöhnliche Weise einfach abzumalen. Außerdem wollte ich sie überraschen, denn das Porträt sollte in der Nacht enthüllt werden, in der ein großer Ball mit vielen prominenten Gästen im Wohnsaal meiner Eltern stattfand. Ich legte mich mächtig ins Zeug. Nachdem mich Schlüssellöcher schon immer interessiert hatten, fiel es mir leicht, jenes ausfindig zu machen, dass sich in der Türe des Badezimmers meiner Großmutter befand. Der Ball, eine überaus gediegene Veranstaltung, befand sich auf seinem Höhepunkt, als mein Vater seinen Gästen verkündete: “Werte Ballgäste, mein Sohn Michael, er ist Künstler, hat ein Porträt meiner Mutter gemalt. Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass meine liebe Mutter es nun enthüllen wird.” Unter tosendem Applaus schritt meine Großmutter, mit mir an ihrer Seite, vor das Kunstwerk und enthüllte es. Als die Gäste das riesige Bild sahen, verebbte der Applaus und Schweigen machte sich im Saal breit. Mein Vater brachte seiner Mutter ein Glas Cognac. “Trink das, liebe Mutter”, sagte er, “du bist einer Ohnmacht nahe.” Meine Großmutter nahm einen ordentlichen Schluck, und bald wankte sie wirklich nicht mehr. Die einzigen Geräusche im Saal waren nun das Knirschen der Zähne meines Vaters und der empörte Ausruf “Michael!” meiner Mutter. Das Bild zeigte eine nackte alte Frau vor dem Spiegel eines Badezimmers. Da meine Großmutter auf einer möglichst lebensechten Darstellung bestanden hatte, war die Frau auf meinem Kunstwerk mit allen Attributen einer nackten Achtundneunzigjährigen versehen. In ihrer rechten Hand hielt sie eine vollständige Zahnprothese, ihre linke Hand hielt ein imaginäres Mikrofon und aus ihrem zahnlosen Mund kamen die Worte ‘Der Tag für Brot und Freiheit bricht an’, anschaulich gemacht durch eine große Sprechblase. Ein Raunen ging durch den Saal, meine Mutter sah mich an, als ob sie endlich die Größe meines Genies erkannt hätte, meine Großmutter verließ mit schnellen Schritten den Saal, und mein Vater hing mein Kunstwerk ab und warf es aus dem Fenster.
Am nächsten Morgen baten mich meine Eltern, das Malen bleiben zu lassen. “Michael”, meinte meine Mutter “warum versuchst du es nicht mit Skulpturen aus Stein, also mit der Bildhauerei?” “Mutter hat recht”, sagte mein Vater. “Großmutter hat sich wieder beruhigt, also vergessen wir den Vorfall. Aber nun ist es an der Zeit für dich zu erkennen, dass die Malerei einfach nicht deinem riesigen Genie angemessen ist.” Das leuchtete mir ein.
Ich besorgte mit einen riesigen Block besten weißen Marmors und begann sogleich mit der Arbeit an diesem schwierigen Material. Ich bohrte, meißelte, schliff und schnitt, und am Ende polierte ich. Mein künstlerisches Konzept war, eine Säule zu erschaffen, die mein Elternhaus um mindestens acht Meter überragen würde. Sie sollte wie ein riesiger Spargel vor diesem stehen, um der ganzen Stadt mein Genie vor Augen zu führen. Da ich Vögel sehr liebe, hatte ich im obersten Teil der Säule einen Wulst geschaffen, auf welchen diese Tiere nisten konnten. Mit einem eigens angeschafften Kran ließ ich das Kunstwerk aufrichten. Meinen Eltern gefiel die Säule sehr, wenigstens aus der Nähe. Mein Vater hatte einen Termin in der Innenstadt. “Michael”, sagte meine Mutter, “endlich hast Du ein vernünftiges Kunstwerk erschaffen.” Ich war sehr erfreut. Zwei Stunden später kam mein Vater zurück. Er warf mir einen wütenden Blick zu, flüsterte meiner Mutter etwas ins Ohr und fuhr mit ihr davon. Eine halbe Stunde später sah ich die Limousine meines Vaters wieder vorfahren. Meine Mutter sprang aus dieser, rannte auf mich zu und brüllte: “Michael! Du hast uns in der ganzen Stadt lächerlich gemacht! Dein Kunstwerk sieht aus wie ein … wie ein … ich kann es gar nicht aussprechen!” Mein Vater las meiner Mutter eine eben eingegangene Nachricht vor: ‘Glückwunsch, Herr Timoschek! Vor Ihrem Palast entphallt sich wirklich große Kunst!’ Meine Eltern gerieten in Harnisch, wie ich es noch nie erlebt hatte. Mein Vater rief den Kranführer an und befahl ihm, mein Kunstwerk umgehend zu beseitigen. Nun liegt mein Meisterwerk im Park meiner Eltern, zwischen der Mauer und einer eigens gepflanzten dichten Hecke.
Meine Mutter gab mir fünfzehn Millionen Euro und nahm mir das Versprechen ab, mich künftig der Literatur zu widmen. Dieses Versprechen gab den Ausschlag, dass ich ein großer Schriftsteller geworden bin. Ich habe bereits vier Bücher geschrieben. Mein erstes Werk trägt den, zugegeben, etwas sperrigen Titel ‘Die Rudelbildung als Phänomen eines Teilbereiches des menschlichen Sozialverhaltens’. Ich habe bereits achtzehn Exemplare davon verkauft. Meinem Vater gefiel der Titel so gut, dass er die gesamte erste Auflage gekauft und sich auch noch die Rechte an diesem Werk gesichert hat. “Ich möchte verhindern, dass dieses Werk in die falschen Hände gerät”, meinte er. Meiner Mutter gefiel mein erstes Buch gar nicht. “Michael!”, sagte sie. “Deine Theorien über die, wie du schreibst, Betätigung im Rudel sind mir zu ungustiös!” Zur Zeit arbeite ich an meinem literarischen Meisterwerk. Der Titel des Romans lautet ‘Das Rudel. oder: Milorads Erlebnisse’ Es handelt sich dabei um ein durchaus erotisches Werk. Da dieser Roman als mein Meisterwerk angesehen werden wird, habe ich an eine Startauflage von zwanzig Exemplaren gedacht und hoffe, dass mein Vater auch dieses Mal die gesamte Auflage kauft.
Somit habe ich es doch noch geschafft. Ich war ein verkannter großer Künstler, doch heute bin ich ein großer Schriftsteller.
Michael Timoschek
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