Die funkferngesteuerte Hybrid-Spray-Fogger-Nebelmaschine qualmt wie wahnsinnig vor sich hin. Was es nicht heutzutage alles gibt! Man sieht die eigene Hand nicht vor den Augen. Nur so zur Probe. Es riecht stark nach Öl. Die Bühne, die zwölf mal vier Meter misst und aus düsteren, schwarz lackierten Spanplatten zusammengebaut ist, wird mit allerlei Gerät bestückt. Die Beleuchtung ist auf Schlafmodus gestellt, man sieht schon wegen des Nebels kaum, und doch gerade noch das Notwendigste. In der hinteren linken Ecke steht ein Keyboard, ein altes Yamaha aus den Siebzigern, das schon einmal bessere Zeiten gesehen hat. In der Mitte der Bühne, nach hinten gerückt, ein noch älteres „Ludwig“-Schlagzeug. Auch in Schwarz, aus den sechziger Jahren, links und rechts von Messingbecken, deren Glanz schon längst irgendwo verloren gegangen war, auf wackeligen Ständern flankiert.
Die nicht mehr sooo ganz jungen Musiker in ihrer nostalgischen Sixty-Bühnenkleidung, mit Glockenhosen und T-Shirts, in sinnigen Sprüchen allerlei auf Brust und Rücken dokumentiert, mit Peace-Zeichen und allem was dazugehört, eine Amateurband also, versuchen mühsam, ihr Equipment einigermaßen professionell aufzubauen. An die rückwärtige Bühnenwand ist ein mächtiges Che-Guevara-Porträt etwas schief angenagelt. Schön, dass er hergefunden hat.
Den Hobbykünstlern zur Seite gestellt, ist ein trauriges Häuflein tätowierter Junkies und Ex-Motorrad-Freaks, von denen keiner unter fünfzig ist und die von der Stadtgemeinde für diese Arbeiten engagiert worden sind, Beschäftigungstherapie, damit sie nicht n u r auf dumme Gedanken kommen. Die sind die Profis, wie sie unschwer zu vermitteln wissen. Allesamt schwere Jungs mit ausgeprägter Häfen- (sprich Gefängnis)-Erfahrung, wird gemunkelt. Jeder für sich ein Unikat.
Damals noch – ja, damals waren sie Mitglieder so manch einer wilden Gang. Hatten nur Unsinn im Kopf, wie man einen langen Tag erfolglos hinter sich bringt. Zugedröhnt bis zum Geht-nicht-mehr. Man war ganz vorn. Vor der Bühne. Bei allen Events. Von den Stones bis zu den Who. Bühnenarbeiter - ganz nah bei ihren Idolen. Sie sind mit ihnen in Würde gealtert. Aber die hier, die Band, die zählt noch zu den Lebenden, beinahe zumindest. Bloß kennt sie keiner. Das ist eben Schicksal. Einer von denen hatte vor zig Jahren tatsächlich selbst einen Hit gelandet, einen einzigen. Das ließ ihn gewissermaßen irgendwie zum Profi werden. Und genau das haben die Bühnenhackler (Hackler = Arbeiter, Wienerisch) irgendwie mitbekommen. Aber es fehlt ihnen anscheinend am nötigen Respekt, denn sie gehen sehr rüde mit dem Alt-Star um. Als der Hitlander sein Bierglas auf einer der Lautsprecherboxen vergisst, kippt das Glas samt Inhalt auf einen der Hackler, als der die Box soeben mit dem Handstapler wegheben will. Du bist a Profi!, meint der Hackler emotionslos ironisch, von oben bis unten nass, den Kopf schief haltend und ihn von oben bis unten musternd, um sich anschließend, ein angewidertes Ausspucken andeutend, kopfschüttelnd vom Hitlander abzuwenden. Womit das Kapitel des Profis neu geschrieben werden muss.
Draußen vor den Toren warten, chromblitzend in der Sonne funkelnd, die Bikes der Bühnencrew, wie zurückgelassene Hunde, angekettet, geduldig auf ihre Besitzer. Unschwer zu erkennen, wer zu welchem „Ofen“ gehört. Der Dickste von denen zur fettesten Harley. Rot-métallisé, mit Windschirm und Seitenboxen. Fat Boy. Der Fahrer ist auch so einer. Sie sehen sich ähnlich.
Der Schmalspurrocker mit dem ausgemergelten Gesicht passt eher zur mageren Variante, zu der mit dem hohen Lenker, Variante Easy Rider. Man ist tätowiert.
Noch muskulöse Arme schimmern grünlich im diffusen Rampenlicht, ragen aus verwaschenen ärmellosen Jeansjacken, deren Rückenteile das Emblem ihres Motoradclubs zeigen. Von den Hosentaschen baumeln verchromte Ketten an deren Enden Geldbörsen vermutet werden. Es könnte auch das eine oder andere Messer darunter sein. Der Bühnenraum ist eigentlich ein finsteres Loch, gelinde gesagt. Es riecht stark nach Zigarettenrauch und Bier. Und die Typen dazu? Mit denen wäre nicht gut Kirschen essen, sagt man. Gegen die Ledernen nehmen sich die Bandmitglieder wie Priesterseminaristen aus.
Wo ist denn das Licht?, fragt einer der Musiker. Was für ein Licht?, antwortet einer der Rocker geistesabwesend. Er steht auf einer Leiter und schraubt eben eine Glühbirne in die leere Fassung. Sein Gesicht ist tief zerfurcht, sein Körper ausgezehrt. Die Haut scheint vertrocknet wie bei einem Klippfisch. Die Haare hängen lang und fett in Strähnen bis an die Schultern und berühren die Lederjacke. Ein Zigarettenstummel glimmt emsig wie ein Glühwürmchen in seinem Mundwinkel. Sein Oberarm zeigt die Tätowierung eines Totenkopfes, dem sein Träger irgendwie ziemlich ähnlich sieht. Die Hose des Klippfisches schlottert um die dünnen Beine. Der Musikus bemerkt dessen grimmige Miene und belässt es bei der Frage. Niemand wagt, weitere Fragen zu stellen.
Irgendwann wird es hell, die Scheinwerfer sind an, blenden, werden gedreht und neu justiert. Mikrofonprobe. Sing du für mich, sagt einer der Musiker zum anderen. Alle lachen. Aber es ist doch dein Mikro! Wurscht. Sind eben nicht alle für die Bühne geschaffen. Heute fehlt irgendwie die Motivation. Man fühlt sich beobachtet. Von Profis. Wie viele Mikrofone?, fragt einer der Höllenengel. Fünf, lautet die Antwort. Samma a G´sangsverein?, brummt der. (Ein Gesangsverein ist keine Rockband, versus „Dienst ist kein Bärenfell“, aus „Vierzig Wagen westwärts“.)
Dann geht es los. Die Band intoniert oder interpretiert, je nachdem, Satisfaction. Jeder kennt das. Die Rocker blicken skeptisch. Sehen einander schweigend an. Keiner verzieht eine Miene. Sie haben die Nummer schon x-ten Mal original gehört, haben schon unterm „Original“ gedient, haben vierzig Jahre Wiener Stadthallenerfahrung. Denen macht man nichts vor. Und dann das! Einer schüttelt den Kopf, greift nach seiner Zigarettenpackung in der Brusttasche seiner ausgefransten Jeansjacke. Das Schlagzeug scheppert penetrant nach alten Topfdeckeln. Die Basstrommel klingt nach schlecht gespannter Lederhose und die Mikrofone quietschen erbärmlich infolge einer ungewollten Rückkoppelung. Bühnenleben macht Spaß.
Der Keyboarder erzählt in der Pause, er hätte einen aus so einer Motorradgang gekannt und ihn einmal zu seinen Schwiegereltern eingeladen, die hatten einen Heurigen am Land, und er selbst half am Wochenende dort aus, als Servierkraft und auch hinter der Schank. Aber der wäre nicht alleine gekommen, nein, ganz und gar nicht. Irgendwann war ein infernalischer Lärm auf der Gasse zu hören. Man stürmte zum Tor um nachzusehen. Das gibt’s nicht! An die dreißig Motorräder, Harleys, Hondas, Kawasakis, alle aufgemotzt und mit kunstvollen Bildern versehen, luftgepinselt und verchromt, wo es nur möglich war, versuchen, in beeindruckender Phonstärke die Parklätze vor dem Lokal für sich einzunehmen. Einer fährt über den Gehsteig, dann von dort über den gepflegten beblumten Grünstreifen auf das Gässchen und zieht eine Spur der Verwüstung hinter sich her. Ein anderer hatte eine Regenpfütze entdeckt und rollt mit dem überdimensionalen dicken Hinterreifen seiner Maschine rückwärts in dieselbe, wobei sich das Rad unter entsprechendem Gasgeben immer wieder munter durchdreht und der Dreck fensterhoch heftig auf die Hausmauer des gepflegten Anwesens spritzt. Der Keyboarder ahnte längst, was ihm bevorstand und wollte wegen des unangenehmen Ereignisses schon in einem Erdloch versinken, aber noch war es nicht so weit. Die Zeit war noch nicht gekommen.
Schließlich war das ganze Geschwader samt den heißen Bräuten, den Klammeraffen – (Beifahrerinnen) abgesessen und hatte sich, die meisten in enger Lederkluft steckend, streckend und reckend, cowboybestiefelt und krummbeinig in Richtung Innenhof bewegt, als auch schon der streng blickende Hausherr erschien, der Schwiegervater höchstpersönlich in Spencer und Loden, der mit den Worten – eis (ihr) kriagt´s do nix - eine klare widerspruchslose Ansage zu deponieren gedacht hatte, woraufhin ihn die Ledernen schräg ansahen. Und sie warfen auch gleich einen zutiefst verunsicherten Blick auf ihren Obmann und Leithammel, der auf den entzückenden Namen „Baby“ hörte, in dessen Bezeichnung jedoch schon allein wegen seines athletischen Körperbaus ein Widerspruch per se zu liegen schien und der er auch aufgrund seines Auftretens in keinster Weise gerecht wurde.
Besagter „Baby“ wiederum erwartete jetzt ganz offensichtlich eine dringende Stellungnahme des Keyboarders, von dem er wohl eine Korrektur der negativen Formalitäten erwartete, die die Stimmung des Hausvaters entsprechend zu wandeln imstande gewesen wäre. Jetzt war es für diesen also höchst an der Zeit etwas zu sagen, zu intervenieren, schließlich ging es irgendwie dabei auch um sein Fell, um seine Reputation, denn so sattelfest war er in der Familie noch nicht verankert, um Folgendes eben richtigzustellen, was schiefzulaufen schien, was sich dann also ungefähr so anhörte - Öh, die – die gehören zu mir, krächzte er nervös und räusperte sich verlegen. Und, ja, jetzt allerdings schien die Zeit für das Mauseloch gekommen.
Aus den benachbarten Häusern lugten verschreckte Augenpaare aus spaltgeöffneten Toren. Kinder versteckten sich hinter den Kitteln der Mütter. Hunde winselten wegen des immer wieder aufbrüllenden Motorenlärms, und die dunklen Wolken des sich bis vor Kurzem entladenden Gewitters standen immer noch drohend am Horizont, ergiebige Pfützen auf Gehsteigen und Gasse hinterlassen habend. Aber es war nicht ganz so schlimm wie erwartet.
Ah so?, reagierte der Hausherr knochentrocken, hob kurz die Brauen, verschwand ohne ein weiteres Wort zu verlieren, außer einem wirkungsvoll kryptischen - Naaa jo! - wieder in Richtung Weinkeller. Dem Tastenbezwinger standen die Schweißperlen an der Oberlippe. Heut wäre wohl kein guter Tag, um ihn um die Hand seiner Tochter zu bitten. Morgen vielleicht auch noch nicht.
Wie auch immer. Die Begrüßung zwischen Keyboarder und Motorradclub verlief relativ nüchtern und emotionslos. Es arbeitete fieberhaft in des Klimpermaxis Gehirn. Der sogenannte berittene Freund stellte die Kumpane und deren Beifahrerinnen artig vor. Die hatten scheint‘s jede Menge Spaß dabei, so offiziell aus ihrer gewohnten Anonymität katapultiert zu werden. Dann bewegte sich der Tross lärmend über den Innenhof die Kellerstiegen hinunter. Die Schwiegermutter hinterm Tresen stand zunächst wie angewurzelt da, und - nie um ein Wort verlegen - blieb ihr jenes, welches sie eben noch auf den Lippen hatte, wohl unvermutet im Halse stecken, als sie die illustren Neuankömmlinge in ihren Nonkonformistenuniformen sah, mit mosaischen Bärten, in Lederjacken mit Nieten dran und drin, mit klirrenden Ketten wie zu Krampus und das im Mai, wo nichts, aber auch schon gar nichts auf einen Rückfall in dunkle Dezembernächte schließen ließ. Diese Art Heurigenpublikum war ihr grundsätzlich fremd. Und schließlich waren da all die Miniröckchen, oh Gott!, von denen kürzere Varianten wohl kaum noch möglich gewesen wären, wollte man dabei nicht gänzlich auf das letzte Bisschen Stoff verzichten. Die Mutter, die gute, fasste sich jedoch bald wieder und lächelte scheinbar wohlwollend über den seltsamen Kostümverein, der da dieses heiteren Samstagnach-mittags so mir nichts dir nichts über ihre Treppe in die heiligen Katakomben hereingeschneit war, und sie tuschelte irgendetwas mit der älteren weiblichen Hilfskraft an der Schank. Dann kicherten die beiden und kriegten rote Gesichter.
Die angehende Gattin des Keyboarders, Tochter des ehrbaren Winzerehepaares und ewige Studentin, zupfte dienstbeflissen ihr weißes Servier-Schürzchen über ihrem züchtigen Dirndlrock zurecht und wedelte sogleich mit Stift und Schreibblock bewaffnet an die sechs von derbem Rockervolk beschlagnahmten Tische herbei, um die Bestellung der guten Leutchen aufzunehmen, bemüht, die ätzenden Bemerkungen der kichernden Auspuffbräute wegen ihres konservativen Dresscodes tunlichst zu ignorieren. Indes ließen sich die Ledernen nicht lange lumpen, denn sie hatten ganz offensichtlich jede Menge Appetit mitgebracht und auch bezüglich ihres Durstes blieben sie den Erwartungen der Wirtsleute nichts schuldig. Neun Doppelliter und jede Menge Mineralwasser für den Anfang. Und, bloß so nebenbei - welcher biedere Landgendarm hätte es schon auf eigene Faust gewagt, diesen röhrenden und gefährlich aussehenden Pulk der oftmals nebeneinander oder sogar zu dritt nebenher Fahrenden, noch dazu mit Wiener Kennzeichen, selbständig und ohne Verstärkung angefordert zu haben, anzuhalten und nach den Papieren zu fragen? Dir Sauoasch zag i meine Papiere sicher net, soll einmal einer von denen zu einem Polizisten gesagt haben, und so was spricht sich herum. Und man hatte schließlich Familie.
Alsdann kredenzte die Serviermaid aufgekratzt und unermüdlich eine Weinhauerjause (auf dem runden Holzbrett versteht sich) nach der anderen. Darauf befand sich üblicherweise ein Potpourri aus Blunzenrädchen, dürrer Knoblauchwurst, Schinken und Käse, Radieschen, Leberpastete und Tomaten, Pfefferoni und Senf und Brot und weiß der Teufel was noch alles. Der Tastenakrobat konversierte in der Zwischenzeit mit dem hünenhaft blonden Anführer der Gang, der überdies sein Klavierschüler war und den er seit Jahren, bislang mit vergeblicher Müh´, in die Kunst des Boogie-Woogie-Spielens einzuweihen versucht hatte, was sich bei dessen rauen, rissigen und riesigen unbeweglichen Würschtelfingern zu guter Letzt ja auch als sinnloses Unterfangen erwiesen hatte. Aufgrund seiner eigenen schnellen Finger, aber leider selbst kein Biker, diese Zeit kam erst viel später, genoss er trotzdem ein Quäntchen Ansehen bei ihm, wenn auch bloß innerhalb einer geduldeten Toleranzschranke der sonst so überkritischen Benzingenossenschaft bei der Auswahl neuer Freunde, wenn es generell um bürgerliches Gehabe oder gewissermaßen um Andersgläubige ging. Schließlich war man darüber hinaus seiner Ehre und Gesinnung verpflichtet, Gesetzen und Gesetzmäßigkeiten und damit aller verdammten Bürgerlichkeit und Scheinwelt soweit es ging, aus dem Wege zu gehen, um eben anders zu sein. Dazu zählten durchaus auch chevalereske Kavaliersdelikte wie etwa in unbeobachteten Augenblicken schon mal die Freundin eines Freundes flachzulegen. Diese Art der Moral galt ihnen als dehnbarer Begriff und beschreibt eindrucksvoll und nachhaltig, deskriptiv eben, eine Handlungsregelung, die für diese Gesellschaft leitend ist oder eben die in ihrer Gemeinschaft üblichen Verhaltensregeln. Mal rein empirisch festgestellt, eine Handlung dieser Art nimmt eine gewisse moralische Qualität an, wenn und soweit sie menschliche Achtung oder Missachtung zum Ausdruck bringen soll. Öh, was auch immer damit gemeint ist.
Die übrigen Gäste kriegten also alle lange Hälse und tuschelten hinter vorgehaltener Hand, was sie da nicht alles zu sehen bekamen, aber alles hatte seine Ordnung, und jeder hatte seinen Spaß. Der Hausherr (der Wirt) himself jedoch schielte in ihm günstig scheinenden Momenten mit geübtem Jägerblick, nämlich dann, wenn sein virtuoses (wirtuoses) Ziehharmonikaspiel es zwischendurch erlaubte und seine Frau an der Vitrine beschäftigt war, wo es galt, den Kümmelbraten zu filetieren, so unauffällig wie möglich, immer wieder nach den kurzberockten Rockerbräuten und auf deren knackige halbnackte Oberschenkel und die hinaufgerutschten Miniröckchen, die im Sitzen für den Betrachter kaum mehr wahrnehmbar waren, wodurch schließlich auch er, nach seiner mehr als enttäuschenden Rolle als Empfangschef und trotz aller ursprünglicher Skepsis, auf seine Rechnung zu kommen schien.
Alles war bis dato friedlich und harmonisch verlaufen, wäre da nicht der haltlos verfressene schwarze Kater Seppl gewesen, der, weil dies seit Jahren sein Revier, gewohnt war, auf den breiten Abschlussholzleisten der Sitzbänke hinter den Rücken der Gäste herumzustolzieren und sich von dort aus mit den leckersten Abfällen verwöhnen zu lassen. So drehte er auch diesmal erfolgsgewöhnt seine kulinarischen Runden, umschwanzte den einen oder die andere Gönner/In und schnurrte zum Dank und zum Jubel aller hier katzenliebenden Anwesenden um die Gunst weiterer Nachmittagsgaben abseits der Futterschüssel und ihrer geregelten Füllzeiten.
Die Fresstour musste gezwungenermaßen und logischerweise auch an den Lehnen der Benzinbrüder und -schwestern vorbeiführen, von wo es aufgrund der üppigen Fülle an Essbarem möglicherweise ganz besonders anziehend gerochen haben mochte, als einer der am wildesten aussehenden Outlaws, er hatte ganz unspektakulär einen verchromten Stahlhelm (Zweiter Weltkrieg) vor sich liegen, was die Sache jedoch enorm dramatisierte, das hinter ihm herumstreunende Vieh bemerkte, es mit seiner Pranke am Hals ergriff und mit dem Kopf quer auf sein vor ihm liegendes Schneidebrett knallte, unter frenetischem Jubel der anderen Ledergenossinnen und -genossen. Anschließend demonstrierte er eindrucksvoll, für jeden aufmerksamen Beobachter der skurrilen Szene unschwer zu erkennen, als wolle er mit dem Brotmesser den Kopf der malträtierten Kreatur vom Leibe trennen, um ihn anschließend zusammen mit Senf, Pfefferoni und Salatgurke zu verspeisen. Ein jäher Aufschrei der Hausfrau, die just in diesem Augenblick ihre wohlwollenden Blicke über die schmatzende Gesellschaft schweifen ließ, durchbrach die allgemeine Monotonie ausgelassener Weinlaune und Jausenstimmung.
Der angehende Katzenmörder ließ mit breitem Grinsen Katze und Messer fahren und lehnte sich mit zufriedener Miene ob seiner spontanen Performance mit einem Glas in der Hand entspannt zurück. Einer der Gäste hatte vor Schreck sein Weinglas in der Hand zerbrochen und blutete leicht. Der Schwiegermutter jedenfalls zitterten noch Stunden danach die Knie, leichtgläubig wie sie war, hatte sie vielleicht wirklich angenommen, der unzivilisierte Wüstling würde tatsächlich ihren geliebten Kater verspeisen. Und es war eine Zeit, als just Jimmy Carter Präsident der Vereinigten Staaten war, und der Wüstling lachte laut und rief dem Tier nach, Kater, Jimmy Kater!, als sich Seppl nach seiner wunderbaren Befreiung mit gesträubtem Schwanz, aus Protest lautstark miauend, rasch aus dem Staube gemacht hatte. Rein optisch wäre es dem Kerl durchaus zuzutrauen gewesen, so von Mimik und Gestik her, ihn zu … Die Geschichte hatte noch lange Zeit auch unter den übrigen Gästen Bestand.
Nach diesem kleinen Exkurs in die Welt der Ledernen lasst uns wieder zurückkehren auf die Bühne, auf der soeben wie verrückt gecovert und dabei gerockt und gerollt wurde. Die röhrende Sechziger-Band zog alle Register, und das spärliche Publikum, welches so nach und nach hereingetröpfelt war, war bemüht, so gut es eben ging, in allem mitzugehen, zu schreien und zu johlen und heftig und ausgiebig das Tanzbein zu schwingen. Kaum zwei Stunden dauerte der Auftritt der provinzialen semiprofessionellen Rockathleten und schon, kaum war der letzte Ton verhallt, zückten die grimmig aussehenden Roadies ihre zweirädrigen Schubkarren, hoben die Boxen an und transportierten den ganzen Kram in Windeseile von der Bühne, um neuen Platz zu schaffen, Platz für die anderen, denn vor den Eingangstüren standen schon die nächsten musikalischen Selbstdarsteller in den Startlöchern.
Norbert Johannes Prenner
www.verdichtet.at | Kategorie: unerHÖRT! | Inventarnummer: 17093