verlegt. bewegt.

Ich bin die, die auf dem Land wohnt, aber zugezogen ist.
Ich bin die, die gesiezt wird.
Unter all den anderen Kunden, die sich mit dem Personal duzen.
Dennoch ist über die Jahre eine Vertrautheit entstanden, die mich die Kassiererin, eine Frau in mittlerem Alter, fragen lässt, ob sie sich freut auf die anstehende Veränderung, was mit einem Seufzer, Achselzucken und einer skeptischen Äußerung beantwortet wird.
Ich reagiere aufmunternd.

Das Schild hatte mich aufgeschreckt: Diese Filiale wird geschlossen und in einhundert Metern Entfernung neu eröffnet.

Die vielbefahrende Bundesstraße.
Linkerhand der flache Baukörper, 08/15 Industriedesign, ohne ästhetische Botschaft. Einerseits sparsam in seinem Verhältnis zum Umfeld, was die schlichte Formensprache betrifft, gleicher Art klotzig und dominant.
Eine Supermarktfiliale mit den fünf charakteristischen gelben Lettern drauf. (Genauso gut könnte es eine anderer Provenienz sein.)
Dahinter hält sich eine Reihe von Wohnhäusern auf. Wer hätte bei der Grundsteinlegung des Familiendomizils vor Jahren gedacht, dass das Einkaufserlebnis so derart nahe rücken würde?
Ein Landstrich, der überfüllt wirkt mit den neuen Geschäftszubauten, die der in Bundesstraßennähe gelegenen Wohnsiedlung ihre dürftige Würde nehmen.
Kommerz und Bedürfnisbefriedigung kennen kein Feingefühl.

Nur einhundert Meter von der neuen entfernt lag die alte Filiale. An einem im Koordinatensystem der Supermärkte nicht so überzeugenden Standort. Die neue liegt vielversprechend an einer belebten Kreuzung.
Natürlich war der frühere Bau ebenso stillos.
Seine Einrichtung und das karge Umfeld boten sich leicht patiniert den Ansprüchen der Kundinnen und Kunden.
Der schlichte schwarz-weiße Terrazzoboden, das angenehme Bisschen Schlendrian beim Ordnungmachen, der entspannt freundschaftliche Informationsaustausch der Verkäuferinnen zwischen den Regalen.
Es hieß, den Leitern mit den halb ausgeräumten Schachteln rundherum auszuweichen.
Das alte Gebäude machte kein Aufhebens und ebensowenig taten dies die dort beschäftigten Frauen aus der Umgebung.
Das Angebot erfüllte den Zweck.
In angenehmer Abgrenzung zum Städtischen.
Eine unaufgeregte Poesie des Überholten.

Der neue Bau hingegen macht laut von sich reden.

Ein neuer, junger Filialleiter mit dynamischem Gesichtsausdruck begrüßt die anwesenden Kunden, manche davon auf ihrem Weg durchs Warenangebot mehrmals.
Das alte Personal, allesamt Frauen, wurde übersiedelt und aufgestockt. Ein neues Team, dazwischen die alten Gesichter unter neuen roten Schirmkappen, manche blass, manche müde, manche munter, so wie in der alten Filiale eben auch.
Was hatte ich erwartet? Die bisherigen Gesichter mit neuerwachtem inspiriertem Funkeln in den Augen, motiviert geschminkt und ambitioniert im Verkaufen. Ein kollektives Tuning?

Die Grundstückspreise im Gewerbegebiet sind leistbar, Bauwerk und Parkplätze entsprechend groß. Das von außen hauptsächlich seiner räumlichen Ausdehnung geschuldete optische Pathos des Baus macht neugierig, aber was bitte soll schon groß anders sein als im alten? Die Erwartungshaltung wird schon beim Eintreten gebrochen, der Glanz des Neuen wirkt im hellen Gebäude angenehm gedimmt. Noch weiß ich nicht warum und suche die Ursache in der Beleuchtung. Erst beim zweiten Besuch entdecke ich die hohe Holzdecke, die das Licht so freundlich färbt und ein beinahe gemütliches Mikroklima erzeugt.
Die Macht der Gewohnheit wird mich das bald nicht mehr wahrnehmen lassen.

Im neuen lässt sich Konsumlust auf zeitgemäßem Niveau exekutieren. Nach neuesten marketingwissenschaftlichen Erkenntnissen angeordnete Regalblöcke in extra großzügigem Abstand zueinander, beim Abschreiten des Sortiments Einblicke erlaubend in noch nicht besuchte Gänge mit Waren, deren Bedarf einem so leichter ins Auge drängt.

An der strahlend neuen Feinkosttheke unter den dauerwerbenden Flatscreens wirken die Verkäuferinnen plötzlich nicht mehr souverän, sondern ein bisschen unbeholfen, so kommt es mir vor. Die neuen Maschinen, das größere Angebot, der kulinarische Overkill wird etwas zögerlich, aber vorbildlich in Handschuhen, an die Kunden gebracht.
Der Filialleiter wirft gerade ein aufmerksames Auge auf die Bedienung und so wird das Sich-Erkennen auf ein wohlwollendes Nicken reduziert. Ob sie sich dort wohlfühlt, werde ich ein anderes Mal in Erfahrung bringen.

Der alte Bau, um seine gelben Lettern erleichtert, wartet auf den Abriss oder eine neue Verwendung. Eine Renaturierung hat es selten gegeben, Asphalt und Beton kommen meist, um zu bleiben.

Michaela Swoboda

www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 18008

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